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Vor allem eins: in Ruhe gelassen werden | ||||||||||||||||||||||||
Begegnungen in Helsinki nach dem Wahlerfolg der "Wahren Finnen" | ||||||||||||||||||||||||
Fremde werden in Finnland eher reserviert empfangen, doch im London Pub geben die Zecher gerne Auskunft. Die Kneipe liegt im Einkaufszentrum des Vororts Kontula von Helsinki, es ist abends halb zehn, und Veeti, Veikko und Roksa haben dem Karjala zugesprochen, dem echt finnischen Bier vom Fass, gezapft von Perry, dem indischen Barkeeper. «Finnische Arbeiter zuerst!», verlangt Veikko, sechzig Jahre alt, der lange Zeit in Schweden Fabrikarbeiter war, der besseren Löhne wegen. Nun ist er nicht mehr so gesund und arbeitslos im eigenen Land. Schuld sei die Billigkonkurrenz aus Estland und Russland. «Suomilainen! » («finnisch»), brüllt ein Herr mit Glatze im Hintergrund, als er das Wort «Russland» hört, und haut auf den Tisch. Und überhaupt: Warum soll Finnland Portugal Geld geben? Timo Soini ist der Held dieser Menschen, und seine Sprüche sind auch die ihren. «Jytky! Jytky!», schreit Roksa gegen das Rattern der Spielautomaten an, was so viel wie «Triumph» heisst, ein beliebter Ausruf von Soini, dem Parteichef der Wahren Finnen. Mit dem überraschenden Erfolg der rechtspopulistischen Partei bei der Parlamentswahl Mitte April soll sich endlich etwas ändern. Der studierte Politologe Soini, der mit Bauch und Fünziger-Jahre-Frisur stets volkstümlich wirkt, versprach, das Land wieder finnischer zu machen: den Zuzug der AusländerInnen zügeln, das EU-Hilfspaket für Portugal ablehnen, den «ehrlichen Arbeiter» wieder zu Brot kommen lassen. In Vororten wie Kontula mit Wohnblocks aus den sechziger und siebziger Jahren und einem hohen AusländerInnenanteil konnte Timo Soini punkten. In Finnland leben nur drei Prozent MigrantInnen, daher fehlt im Land die Erfahrung im Umgang mit ihnen. Während Osteuropäer fürs Lohndumping angefeindet werden, stören sich die Finnen an der Andersartigkeit der Flüchtlinge aus Somalia. Auch in den Wahlbezirken auf dem Land, das unter dem Niedergang der Forstindustrie leidet, erzielten die Wahren Finnen viele Stimmen. Landesweit erreichte die Partei neunzehn Prozent, sie ist nun die drittstärkste Kraft; bei den letzten Wahlen hatte sie vier Prozent bekommen. In der konsensorientierten finnischen Demokratie hätte solch ein Ergebnis früher einen sicheren Platz in der Regierungskoalition bedeutet, die zumeist aus drei Parteien besteht. Da die Wahren Finnen aber das Rettungspaket für Portugal ablehnen und die konservativ-liberale Nationale Sammlungspartei des künftigen Ministerpräsidenten Jyrki Katainen (Wahlergebnis: 20,4 Prozent) sowie die SozialdemokratInnen (19,1 Prozent) den antieuropäischen Kurs nicht mittragen wollen, zog sich Soini Mitte Mai aus den Verhandlungen zurück. Katainen wird sich, wenn er regieren will, also nach links orientieren müssen – der Grüne Bund, an der vorigen Regierung beteiligt, hat 7,2 Prozent der Stimmen erzielt, und das Linksbündnis 8,1. Doch beiden Parteien wäre eine Regierungsbeteiligung der Wahren Finnen lieber. Die sollen sich, so das Argument, regierend kompromittieren, statt in der Opposition weiter an Popularität gewinnen. «Sie haben keinerlei Konzepte, wie sie die Arbeitslosen beschäftigen wollen», sagt Dan Koivulaakso, Chef der Jugendorganisation des Linksbündnisses, aber es sei ihnen gut gelungen, auf die Enttäuschung eines Teils der Bevölkerung einzugehen. «Es ist eine Nostalgiebewegung», sagt Pekka Haavisto. Für ihn, den ersten grünen Minister Finnlands, ist Soini kein Hetzer, eher ein Charmeur. Man könne die Wahren Finnen, die aus einer Bauernpartei hervorgegangen seien, nicht mit den rechtspopulistischen Bewegungen im restlichen Skandinavien vergleichen. Die Partei entwerfe ein idealisiertes Finnlandbild aus der Zeit der sechziger bis achtziger Jahre, das aber nicht der Wirklichkeit entspricht: Auch damals schwächelte die Wirtschaft; viele Finnen mussten nach Schweden emigrieren. Heute durchlebt das Land eine spürbare Verunsicherung. Es wird wieder deutlich mehr getrunken: Der Geruch von Schnaps, Bier und kaltem Rauch fehlt bei keiner Strassenbahnfahrt in Helsinki. Dubiose Immobiliengeschäfte der Regierungskoalition von Matti Vanhanen – der Ministerpräsident der Zentrumspartei musste vor rund einem Jahr zurücktreten – haben das Vertrauen in die Politik nachhaltig erschüttert. In diesem lutherisch geprägten Land, in dessen Parlament das Wort «Lüge» streng verboten ist, galt Korruption in der Politik bislang als unvorstellbar. Die Holz- und Papierindustrie, die in den siebziger Jahren die finnische Wirtschaft dominierte, hat noch einen Anteil von zwölf Prozent – und der geht aufgrund billiger Holzimporte aus Russland und Brasilien weiter zurück. Diese Lücke kann auch die Hightechindustrie nicht stopfen, die mittlerweile vierzig Prozent der Wirtschaftsproduktion ausmacht. Denn Firmen wie Nokia stecken selbst in Schwierigkeiten. Es gibt kaum noch Platz für ältere Arbeitskräfte, und die Jugendarbeitslosigkeit liegt mit zwanzig Prozent über dem europäischen Durchschnitt. Diese Entwicklung hat dazu geführt, dass nicht nur die auf dem Land lebenden Menschen verängstigt reagieren. Auch die urbanen, erfolgreichen Finnen sind wenig begeistert von den anstehenden Zahlungen an Portugal. «Wir müssen wohl», sagt Lasse, Controller in einem US-amerikanischen Konzern und Wähler der konservativen Sammlungspartei, beim Gespräch in der trendigen Bar 9 im Stadtzentrum von Helsinki. Aber er hat für diese Antwort nachdenken müssen. «Das Land ist aus historischen Gründen separatistisch eingestellt», sagt der Schriftsteller und Kabarettist Roman Schatz, der am Bodensee aufgewachsen ist. Die Finnen hätten sich in der Vergangenheit stets gegen Schweden und Russland behaupten müssen. Finnland, so glaubt er, sei 1995 nur der EU beigetreten, weil sich das Land vor dem russischen Nachbarn fürchtete. Doch nun werde klar, dass die EU-Mitgliedschaft auch etwas kostet. Die Wahren Finnen, meint er, wollen einfach nur in Ruhe gelassen werden. Zu ihnen gehört auch der frischgebackene Abgeordnete Teuvo Hakkarainen, der bislang keinen Fernseher besass und zuvor noch nie in der Hauptstadt war. Zwei Tage nach der Wahl fragte Hakkarainen, ob er denn jeden Tag im Parlament sitzen müsse. Schliesslich wolle er unter der Woche zu seiner Sägemühle nach Viitasaari in Mittelfinnland fahren. WOZ, 26.05. 2011 |
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© Jens Mattern. |
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